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Meditationen nach der Tradition des Berges Athos I.


Für Personen, die mehr wissen wollen, als in den Zeitungen steht
Meditationen nach der Tradition des Berges Athos

Nach der Lehre des Vater Seraphim
Diese Transformation bemerkend wunderte er sich: „Könnte dieser verwurzelnde Effekt das Ergebnis der Haltung zusammen mit der geraden Wirbelsäule sein?“ Der junge Mann wurde nicht länger durch den Rhythmus seines Atems davongetragen wie zuvor. Er schaffte es, die Identität seines Bewusstseins unverändert beizube-halten. Er war ein Tropfen und offensichtlich „eins mit dem Meer“ zugleich. So lernte er, dass tiefe Meditation gleichzeitig eine tief-gründige und natürliche Atmung bedeutet, in anderen Worten: das Freilassen des Ein- und Ausströmens der Atmung.

Er lernte auch, dass der Grund des Ozeans immer still blieb, auch wenn es viele Wellen auf der Oberfläche gab. Kurz danach erkannte er, dass auch seine Gedanken kamen und gingen, aber tief in seinem Wesen blieb etwas Ewiges und Unbe-schreibliches (das Unsterbliche Selbst) unbewegt. Mit jedem neuen Tag der tiefgründigen Meditation verlor der junge Mann vollständig die Identifizierung mit den „Wellen“ der Gedanken, indem er immer stärker Eins wurde mit dem stillen Grunde des Ozeans (dem Unsterblichen Selbst).

Freudig erinnerte er sich der Verse des Dichters, der seine Jugend beeinflusst hatte: „Das Leben ist wie ein See, der von Wellen aufgewühlt wird. Gewöhnliche Menschen sehen darin nur die Wellen. Beobachte sorgfältig, wie die Wellen ständig aus der Tiefe an die Oberfläche treten, während es verborgen bleibt, hinter ihnen.“ Die See war für ihn nun nicht mehr verborgen; alle Wesen und die Identität der Dinge waren nun viel offensichtlicher, ohne dass die Vielfalt verschwand. Die Umgebung und die Form, der Inhalt und sein Aussehen, das Sichtbare und das Unsichtbare erschienen ihm nun nicht mehr als Gegensätze; alle begannen, im einzigartigen Ozean des Lebens zu verschmelzen.

Er fragte sich, ob die Grundlage der Atmung das Ruah oder Pneuma oder das Prana der Yogis war, oder einfach Gottes allmächtige Atmung?
Vater Seraphim sagte: „Derjenige, der sorgfältig und losgelöst der Atmung lauscht, ist nicht weit entfernt von Gott. Lausche sehr aufmerksam dem Ende deines Atemzuges. Lausche aufmerksam seinem Anfang“. Eifrig diesen Rat befolgend erkannte der junge Mann, dass es in diesen geheimen Momen-ten des Anfangs und des Endes ein tiefgründigeres Schweigen gab als das Heran- und Zurückfließen der Wellen, etwas das aussah wie der Ozean …

Meditieren wie ein Vogel

Vater Seraphim sagte eines Tages zum jungen Philosophen: „Die stabile Position, die konsequente Orientierung zum Licht Gottes und die tiefgründige Atmung, auf eine natürliche Art rhythmisch wie der Ozean, formen noch nicht die hesychastische Meditation. Du musst nun lernen, wie ein Vogel zu meditieren.“ Und indem er seine Hand nahm, führte er ihn zu einer kleinen Kammer, über der zwei Turteltauben ihr Nest gebaut hatten. Ihr fröhliches Gezwitscher erfreute ihn zuerst, aber bald nervte es ihn. Er dachte, sie beschlossen genau dann ihr Liebesgeflüster zu wispern, wenn er sich auf das Schlafen vorbereitete.



Der perplexe junge Mann fragte den Mönch nach der Bedeutung von all dem und wie lange diese Komödie noch andauern sollte. Der Berg, die Mohnblume und der Ozean waren noch in Ordnung (auch wenn jemand von außen sich über die Verbindung zwischen all diesen und dem Christentum wundern könnte), aber zu diesen schmachtenden Vögeln als Meditationslehrern zu kommen, das war zu viel!

Vater Seraphim erklärte dann geduldig, dass im „Alten Testament“ das Wort, das den Zustand der Meditation beschrieb, die Wurzel „Haga“ hatte, was ins Griechische übersetzt wurde als melete – meletan, was ins Lateinische übersetzte wurde als meditari – meditatio. Die ursprüngliche Wurzel dieses Ausdrucks bedeutet „in Stille flüstern“. Die gleiche Wurzel drückte oft auch den Ruf der Tiere aus, zum Beispiel das Brüllen des Löwen (Jesaja, 31,4), das Gezwi-tscher der Spatzen und das Gurren der Tauben (Jesaja, 38,14), genau so wie das Knurren des Bären.

Wie Du sehen kannst, haben wir hier auf dem Berg Athos keine Bären. Aus diesem Grund brachte ich dich zu diesen Turteltauben. Aber ihre Lehre ist für dich ohnehin die gleiche. Du musst auch mit deinem Hals meditieren, indem du ihn nicht nur nutzt um zu atmen, …sondern auch um Tag und Nacht den Namen Gottes in Stille zu flüstern.

Wenn du glücklich bist, dann summst du ein Lied, sogar ohne es zu bemerken. Oder du murmelst einige bedeutungslose Worte und letztendlich bewirkt dieses Gemur-mel, dass dein ganzes Wesen vor einfacher und ruhiger Freude vibriert.

Tiefgründige Meditation bedeutet, das Gurren der Turteltauben in dir widerhallen zu lassen, bedeutet, dass du das Lied, das in deinem Herzen erscheint, aufsteigen und dich überfluten lässt, so wie der Duft der Blume dich umgibt …

Meditation bedeutet auch, zu atmen während man innerlich singt, ohne ein äußeres Geräusch zu erzeugen.

Ohne zu versuchen, die tiefgründige Bedeutung zu finden, schlage ich dir vor, dass du ständig die folgenden Worte, welche die Herzen der Mönche von Berg Athos mit Liebe zu Gott erfüllen, wiederholst, flüsterst, summst, um diese Worte tief und vollständig in dir vibrieren zu lassen: Kyrie Eleison, Kyrie Eleison.“ Der junge Mann war nicht besonders erfreut, da er die Bedeutung der griechischen Worte seit einer langen Zeit kannte: „Herr, habe Erbarmen.“

Da er seinen Zustand sehr gut intuitiv erfasst hatte, lächelte Vater Seraphim: „Ja, das ist auch eine der Bedeutungen dieses Ausdrucks, aber es gibt auch andere: „Oh mein Herr, ich flehe Dich an, Deinen Heiligen Geist über mich zu senden! Möge Dein göttlicher Segen über mich und über jeden kommen! Möge Dein Name in Ewigkeit gesegnet wer-den!“ und so weiter.

Aber ich sagte dir bereits, dass nun nicht die richtige Zeit ist, auf Bedeutungen zu bestehen, da sie sich dir früher oder später, wenn die Zeit dafür richtig ist, offenbaren werden. Für den Augenblick ist es genug, empfänglich und sehr aufmerksam zu werden für die geheime und erhebende Schwing-ung, die diese Worte in deinem Herzen und deinem Körper erwecken. Dann harmonisiere diese Vibration mit dem Rhythmus deiner Atmung. Wenn dich zu viele Gedanken stören, nutze nur dieses Bittgebet, atme so tief wie du kannst, halte deine Wirbelsäule gerade und ruhig und du wirst den Weg zu Hesychia finden, dem inneren tiefgründigen Frieden, den Gott jenen schenkt, die Ihn lieben.“

Schon bald war der junge Mann vertraut mit diesem Ausdruck („Herr, habe Erbarmen“). Nach einer Weile war er sogar fähig, ihn aus seinem Herzen heraus zu sagen und nicht nur mit seinen Lippen.

Dann versuchte er nicht länger, die Bedeutung dieser Worte mental zu verstehen und ihre kontinuierliche Wiederholung brachte ihm einen tiefgründigen, ekstatischen Frieden, der ihm bislang vollständig unbe-kannt gewesen war. Er entdeckte schrittweise, was die innere Einstellung des Apostel Thomas gewesen sein musste, als er Jesus auferstanden sah. Es ist bekannt, dass er sagte: „Kyrie Eleison, mein Herr und Gott“.

Dieses einfache Bittgebet vertiefte ihn plötzlich in einen Zustand des intensiven Respekts gegenüber allem Existierenden, auch in einen Zustand der überwältigenden Bewunderung für das, was an der Wurzel einer jeden Existenz verbor-gen war. Vater Seraphim sagte: „Nun ist es gut zu wissen, dass du nicht weit davon entfernt bist, wie ein Mensch zu meditieren. Daher will ich dich nun lehren, zu meditieren wie Abraham.“

Meditieren wie Abraham

Vater Seraphim’s Unterweisungen waren natürlich und therapeutisch. Wie bereits Filon von Alexandria sagte, waren die alten Mönche tatsächlich „Therapeuten“ (d. h. „Heiler“).
Der Berg vor ihm schien seine Venen durchdrungen zu haben. Er nahm Zeit anders wahr mit Worten nicht zu beschreiben; er nahm intuitiv lang ver-gangene Jahreszeiten wahr, die sich für einen Moment vor ihm auftaten, aber er blieb ruhig und still wie grobe und harte Erde oder wie reicher Boden, der darauf wartet, eines Tages kultiviert zu werden

Während er wie ein Berg meditierte, änderte sich der Rhythmus seiner Gedanken auf wundersame Weise. Er lernte nun zu sehen ohne zu beur-teilen und er konnte sogar betrachten, wie der Berg all denen, die ihn besuchen, gleichermaßen das Recht zu existieren gibt.

Zu seiner Verwunderung hielten ihn eines Tages ein paar Pilger für einen Mönch und baten tief beeindruckt von seinem inneren Frieden um seinen Segen. Er antwortete nicht und blieb unerschütterlich wie ein Fels. Als Vater Seraphim dies hörte, kam er schnell und begann auf seinen ganzen Körper einzuschlagen. Der junge Philosoph blieb still, während die Schläge auf ihn niederprasselten und begann nur einmal aufzustöhnen.
 
Bitte schön! Ich dachte schon du wärst so dumm wie ein Stein auf der Straße geworden. Hesychaste Medi-tation basiert auf Stabilität, nicht Unbewegtheit; sie soll dich nicht in einen trockenen Klotz verwandeln, sondern in ein Wesen, dass voll tiefer Empfindsamkeit und wahrlich lebendig ist.“ Er nahm den jungen Mann am Arm und führte ihn in den Garten, wo man zwischen den Kräutern einige Blumen sehen konnte.

Von nun an musst du nicht wie ein unfruchtbarer Berg meditieren. Beginne heute damit, zu lernen wie roter Mohn zu meditieren, aber behalte alles im Gedächtnis, was dich der Berg gelehrt hat.“

Meditieren wie eine rote Mohnblume

Somit begann der junge Mann von diesem Tag an zu lernen, wie man blüht … Meditation bedeutet zunächst, eine stabile Stellung zu haben und dies ist, was der Berg ihn gelehrt hatte. Aber es bedeutet auch, eie „Orientierung“ zu haben und dies sollte er von der Mohnblume lernen: sich zyklisch auf die Sonne auszu-richten, von der Finsternis hin zum Licht. Mehr noch musste er all den „Lebenssaft“ seines Wesens in Energie transformieren und dann, mit seiner Hilfe, danach streben.

Manchmal ließ ihn  diese Orientier-ung zum Guten, Schönen, Lichten, Wahren erröten wie eine rote Mohnblume. Wie Gottes wunder-volles Licht, so war es das Licht eines offenen Blicks, begleitet von einem Lächeln, der einen bestim-mten Duft von ihm erwartete er lernte auch, dass die Mohnblume immer ihren Stängel gerade hielt, damit sie sich besser ausrichten konnte, und so begann er seine Wirbelsäule gerade zu halten.

Am Anfang verstand er noch nicht sehr gut, wie diese Dinge wirklich waren. Er las in anderen Lehr-büchern, dass der Rücken des Mönches ein wenig gebeugt sein muss, auch wenn man dadurch Schmerz riskiert – auf diese Art könne sein Blick leicht auf das Licht gerichtet werden.

Daher bat er Vater Seraphim um eine Erklärung. Vater Seraphim betrachtete ihn böse: „Oh, dieser Rat war gut für diejenigen, die vor einer langen Zeit gelebt haben. Sie waren zu voll mit Energie und sie mussten an Demut und die Nichtigkeit ihres menschlichen Zustands erinnert werden. Daher konnte es ihnen nicht schaden, wenn sie sich während der Meditation ein wenig beugten …

Was dich jedoch anbelangt, benötigst du eher Energie; deshalb frische dich während der Meditation auf, sei wachsam, mach deine Wirbelsäule so gerade wie möglich und erhebe deinen Blick zu Gottes Licht. Du kannst dieses Licht auf der Spitze deines Kopfes sehen, aber denk immer daran, dies selbstlos zu tun.



Wenn du die Mohnblume aufmerk-sam betrachtest, dann wirst du selbst die Vertikalität ihres Stängels bemerken und die Biegsamkeit, die ihr erlaubt, sich im Wind zu beugen; dies geschieht, weil sie so demütig ist … Du musst verstehen, dass in der geheimen Lehre der Mohnblume auch ihre Zerbrechlichkeit und ihre Vergänglichkeit ist. Der junge Mann, der du jetzt bist, muss lernen zu blühen, aber auch zu vergehen.“

Indem er über das meditierte, was Vater Seraphim gesagt hatte, verstand der junge Philosoph plötzlich des Propheten Wort „jeder Körper aus Fleisch ist Gras für Gott und er ist so delikat wie eine Blume. Es kommt eine Zeit, wenn Gottes Wind über ihnen weht und das Gras vertrocknet und die Blumen ver-gehen. Aber über allem ist Gottes Wort auf ewig beständig … für Gott sind alle Völker auf der Erde wie ein Tropfen Wasser im Eimer, wie Staub auf einer Waage … Er macht alle Richter auf dieser Welt auf ewig bedeutungslos. Kaum sind sie gesät, gepflanzt, mit dem Stängel in der Erde, so bläst Er (Gott) über sie und trocknet sie und dann trägt sie ein Wirbel wie Strohhalme davon.“ (Jesaja, 40-7, 8, 15, 23, 24).

Der Berg gab dem jungen Philoso-phen ein Gefühl der Ewigkeit, aber danach lehrte die Mohnblume ihn die Zerbrechlichkeit der vergäng-lichen Dinge, die der Zeit gehorchen. Zu meditieren bedeutet unter anderem, die Ewigkeit in vergäng-lichen Momenten jederzeit zu kennen.

Es bedeutet auch, dass es notwendig ist, voll aufzublühen, wenn deine Zeit zu blühen gekommen ist, mit deinem ganzen Herzen zu lieben, wenn deine Zeit zu lieben gekom-men ist, ohne irgendetwas dafür zurück zu verlangen. Abgesehen von dem, was Gott uns jeden Moment gibt, was sonst könnten wir bekommen und von wem? Lasst uns über den Grund nachdenken, warum Mohnblumen blühen … und für wen …

Der junge Philosoph lernte so, tiefgründig zu meditieren ohne irgendeinen Grund oder Gewinn. Er verstand auch, dass er aus der einfachen Freude der Existenz heraus meditieren musste, Gottes ewiges Licht liebend. „Liebe ist ihre eigene Belohnung“ sagte der Heilige Bernhard. „Die Blume blüht, weil sie blüht“ sagte einst Angelus Silesius.

„Der Berg ist in Wirklichkeit der-jenige, der wie eine Mohnblume blüht“ dachte der junge Philosoph. „Das gesamte Universum meditiert jetzt in mir. Möge es erröten vor Freude in diesem privilegierten Moment, der mein Leben ist“. Dieser Gedanke war ein wenig zu viel für ihn. Darum musste Vater Seraphim ihn nehmen und ihn ein wenig schütteln, er nahm ihn mit auf eine schroffe Straße und brachte ihn an die Meeresküste an einen kleinen isolierten Golf und sagte ihm: „Hör auf, die Frische einer Mohnblume zu kauen wie eine Kuh … erinnere dich, du musst nun das Herz des Meeres erlangen. Lerne zu meditieren wie der Ozean“.

Meditieren wie der Ozean

Der junge Mann näherte sich dem Meer. Rückblickend betrachtet bemerkte er, dass er eine stabilere Position und eine geradere Wirbel-säule hatte. Was fehlte ihm denn noch? Was könnte er von den Stürmen der Wellen lernen? Bald schon bemerkte er, dass der Wind stärker wurde. Das Heran- und Zurückfließen des Meeres wurde stärker und erweckte in ihm die Sehnsucht nach dem zu meditieren, und nicht wie ein See.

Woher wusste er von den langen Stunden, die er im Norden des Atlantischen Ozeans verbracht hatte, umgeben nur von der Nacht, als er lernte im Rhythmus der Wellen zu atmen!

Einatmen, ausatmen … dann: Ich werde von Gott eingeatmet. Ich werde von Gott ausgeatmet. Ich lasse mich vollständig vom Atem davontragen, so als würde ich von den Wellen getragen …



Er begann erneut mit diesen Übungen. Seltsamerweise geschah alles in der Gegenwärtigkeit! Als er zuvor das gleiche durchgeführt hatte, vergaß er sich selbst, er löste sich wie ein Tropfen Wasser im Meer auf. Jetzt bemerkte er, dass der Tropfen, er, noch immer die Form behielt, das Selbst-Bewusstsein.
Als einst ein junger Philosoph den Berg Athos erreichte, hatte er bereits ver-schiedene Abhandlungen über orthodoxe Spiritualität gelesen und kannte sehr wohl Die kleine Philokalie des Herzens-gebets“ und die Aufrichtigen Erzähl-ungen eines russischen Pilgers".

Durchaus war er durch all diese verlockt, aber nicht überzeugt. Während eines Aufenthalts in Griechenland assistierte er in einer tief- emotionale Messe, die ihn spontan dazu inspiriert hatte, ein paar Tage auf dem Berg Athos zu verbringen, um neue Details über das Herzensgebet und die Methode des inneren Hörens der Hesychasten in Erfahrung zu bringen.

Hesychasten sind vollkommen still und isoliert von der Welt, auf der Suche nach „Hesychia“ oder tiefen inneren Frieden, der Gott offenbart.


Vater Seraphim

Um das Folgende besser zu ver-stehen, werden wir euch mit allen nötigen Einzelheiten darüber berichten, wie dieser junge Philo-soph auf Vater Seraphim getroffen ist, der allein in einer Einsiedelei in der Nähe von St. Pantelimon auf dem Berg Athos lebte. Wir müssen hinzufügen, dass unser junger Philosoph zu diesem Zeitpunkt ein bisschen enttäuscht war, da er die Mönche auf dem Berg Athos nicht auf der „Höhe" vorgefunden hat, die er erwartet hatte.

Es ist wichtig hinzuzufügen, dass er nie wirklich gebetet oder eine bestimmte Form der Meditation durchgeführt hatte, auch wenn er genügend Bücher über christliche Meditation und Gebete gelesen hat. Deshalb war sein größter Wunsch, als er zum Berg Athos gereist ist, nicht noch einen Vortrag über Gebet und Meditation zu hören, sondern eine wirkliche und lebhafte Einweih-ung zu bekommen die es ihm ermöglichen würde, von „innen", durch persönliche und direkte Erfahrung, besser zu verstehen.
 
Vater Seraphim, der ein hesychasti-scher Einsiedler war, hatte einen bizarren Ruf unter seinen Mit-mönchen. Einige warfen ihm des öfteren vor, dass er spontan levi-tierte, andere behaupteten, dass er die Angewohnheit hatte, zu schreien, andere wiederum sahen in ihm einen ungebildeten Bauern, der hysterische Anfälle hatte; dennoch verehrten ihn viele Menschen als wahren Abt, der durch Gottes Heiligen Geist inspiriert war und der den weisesten Rat geben konnte. Des Weiteren konnte Vater Seraphim die Seelen der Menschen, die zu ihm kamen, wie ein offenes Buch lesen.
Viele derer, die an die Tür seiner Einsiedelei klopften, wurden unangenehm dadurch überrascht, dass sie sich in einer zuhöchst unge-bührlichen Weise durch Vater Seraphim bis zum Grund ihrer Seelen begutachten lassen mussten. Er untersuchte sie von Kopf bis Fuß mit einer unheimlichen, bohrenden Aufmerksamkeit, ohne ein Wort zu sagen, fünf Minuten lang.

Diejenigen, die dieser Untersuchung ruhig standhielten, ohne davonzu-rennen, konnten am Schluss die strenge Diagnose des spirituellen Röntgen vernehmen: „Wie ich bemerkt habe, befindet Er sich in dir unterhalb deiner Kinnhöhe“, „Er ist noch nicht einmal in dich einge-drungen“, „Oh, welch ein Wunder, es ist erstaunlich, … ich kann sehen Er ist in dir bis zu deinen Knien hinab gestiegen!“
 
In all diesen Situationen sprach Vater Seraphim offenbar von Gottes Heiligem Geist und dem mehr oder weniger tiefgründige Ebene, an dem Er (Gottes Heiliger Geist) den Bereich des Kopfes berührt, jedoch nicht den des Herzens oder des Bauches. Sein wichtigstes Kriterium zur Beurteilung der Menschen war immer die Stufe der Inkarnation (die vollständige Verbreitung über bestimmte Teile des physischen Körpers und des Wesens) des Heiligen Geistes im Menschen vor ihm.

Der perfekte Mensch (anders ausgedrückt: völlig vom Heiligen Geist verklärt) war für ihn nur derjenige, dessen ganzer Körper von Kopf bis Fuß völlig von der gött-lichen Präsenz des Heiligen Geistes durchdrungen war. „Ich habe dieses Wunder nur bei einem einzigen Menschen gesehen, bei Abt Siluan“, sagte er, „Er ist tatsächlich voll-ständig ein Mann Gottes, voller Größe und voller Demut zur gleichen Zeit.“
 
Der junge Philosoph war keineswegs in dieser hohen Position und in seinem Fall befand sich Gottes Heiliger Geist bis „unter seinem Kinn“. Als er Vater Seraphim bat, ihm das Geheimnis des Herzens-gebets und des inneren Hörens der Hesychasten zu lehren, fing dieser beinahe an zu schreien. Er war durch diese Situation weder eingeschüchtert noch entmutigt. Später, als er demütig darauf beharrte, sagte Vater Seraphim zu ihm:

„Bevor ich dir etwas über das Geheimnis des Herzensgebets erzähle, musst du lernen wie ein Berg zu meditieren“ und danach zeigte er ihm in der Nähe einen hohen Berggipfel. „Beginne heute, ihn zu fragen, wie er betet. Wenn du weißt, wie er es macht, komm zu mir zurück.“

So tief meditieren wie ein Berg



Und so begann für den jungen Philosophen eine authentische Einweihung in das innere Hören des Hesychasmus. Ganz offensichtlich war dies für ihn der erste Hinweis bezogen auf eine größere Stabilität. Der Rat war nicht spirituell, sondern physisch: wie man stabiler sitzt.

In einer stabilen und festen Position wie ein Berg zu sitzen, bedeutet unter anderem „Gewicht zuzu-legen“, oder anders ausgedrückt, vollkommenes und tiefes Ent-spannen, um das Gefühl zu bekom-men, dass du in den Boden „sinkst“.

Während der ersten Tage fand es der junge Philosoph schwer, so lange zu sitzen, ohne sich zu bewegen, wie ein Fels, mit gekreuzten Beinen und dem Becken ein bisschen höher als die Knie (er hatte entdeckt, dass dies die Position war, die ihm die meiste Stabilität verleiht).

Eines Morgens, als er mit glühen-dem Eifer übte, verstand er spontan, was „meditieren wie ein Berg“ bedeutete. Plötzlich fühlte er sein ganzes Gewicht; er war vollkommen bewegungslos, als ob er äußerst tief und stark im Boden verwurzelt wäre. Zeit erhielt eine völlig neue Bedeutung. Zum ersten Mal nahm er voller Ekstase intuitiv wahr, dass Berge in Wirklichkeit eine andere Zeit und einen eigenen Rhythmus haben. Vollkommen bewegungslos zu sitzen bedeutet in Wirklichkeit, tatsächlich immer die Ewigkeit vor sich zu haben.

Dies ist die angemessenste Lösung für denjenigen, der wirklich danach strebt, sich in Meditation zu bege-ben: zu allererst muss er wissen, dass er immer die Ewigkeit vor sich, hinter sich und in sich hat. Bevor man eine Kirche errichtet, braucht man immer einen Stein, und auf diesen Stein (in anderen Worten: der unerschütterlichen Stabilität des Steines) kann Gott Seine Kirche bauen und aus dem menschlichen Körper Seinen Tempel machen. Dies ist, wie Vater Seraphim die geheime Bedeutung der Worte des Evange-liums verstand: „Du bist ein Fels und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen“.

Die paar Wochen, die der junge Mann auf diese Weise verbrachte, veränderten ihn sehr. Am schwieri-gsten schien es, die Stunden verrinnen zu lassen mit „absolut nichts zu tun“. Er musste wieder lernen, nur zu sein, klar und einfach, ohne jeglichen Grund. Wie ein Berg zu meditieren heißt auch, tief über die endgültige Existenz zu medi-tieren, die Existenz selbst, diejenige, die vor dem Denken existiert, vor Schmerz oder Freude. Der Berg lehrt dich, dass sie wirklich existiert … das ist in Wirklichkeit seine Meditation.

Voller Liebe besuchte Vater Seraphim den jungen Philosophen täglich und teilte mit ihm ein paar Oliven und Tomaten. Trotz der außerordentlich strengen Diät fühlte sich der junge Mann von Tag zu Tag schwerer. Er wurde ruhiger.
Karnegg 1, A-8244 Schäffern, Tel.: +0043 3339 7346, E-Mail: arcturus@gmx.at




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